Das Konzept überdenken

Was ist eigentlich in Jena los?

In der jüngsten Vergangenheit fanden in Jena zwei Naziaufmärsche statt. Im Vorfeld zu beiden Aufmärschen gab es nicht wenige Menschen, die sich die Frage stellten, wie es plötzlich sein könne, dass sich Nazis nach dem Desaster beim „Fest der Völker“ 2007 wieder nach Jena trauten um hier ihre menschenverachtende, geschichtsrevisionistische Hetze zu verbreiten. Dieser Sachverhalt zeigt sehr deutlich, dass sich Jena über die Jahre ein antifaschistisches Image aufgebaut hat, welches, von linksradikalen Strukturen über studentische Gruppen bis hin zum Bürgertum über alle Bevölkerungsschichten, bis heute anhält. Aber wie steht es tatsächlich um die antifaschistische „Szene“ in Jena und kann man mit Recht behaupten, dass Jena diesem Image auch gerecht wird?

Antifa, übernehmen Sie?!

Am 27.06.2015 fand der erste der beiden diesjährigen Aufmärsche in Jena statt. Rund 100 Neonazis wurden durch die Europäische Aktion nach Jena mobilisiert. Eine vierstellige Zahl von Gegendemonstrant*innen stellte sich ihnen entgegen und ein Großaufgebot der Polizei war ebenso vor Ort. Schon früh morgens bildeten sich mehrere Blockaden an strategisch wichtigen Punkten. An diesem Tag gelang es den Nazis lediglich ein paar Meter zu marschieren, und das nicht einmal direkt im belebten Stadtzentrum. Im Nachgang wurde dies als großer Erfolg der „antifaschistischen Bewegung“ gefeiert. So bemerkt beispielsweise das Aktionsnetzwerk gegen Rechts: „Einmalmehr hat sich gezeigt, dass Naziveranstaltungen in Jena gegen den breiten Widerstand vieler Menschen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Spektren nicht durchsetzbar sind. Wir und viele andere haben uns wi(e)der(ge)setzt – und wir werden es auch in Zukunft wieder tun!“[1]  Hier wirklich von einem Erfolg zu sprechen ist, angesichts der Realität welche sich an diesem Tag zeigte, falsch. Die etwa 1800 Gegendemonstrant*innen wären hier wohl kaum in der Lage gewesen den zahlreichen Polizist*innen zu entgehen. Wäre hier eine Räumung der Blockaden politisch gewollt worden, hätten sie diese auch problemlos durchsetzen können. Man im Nachhinein eingestehen, dass der antifaschistische Protest in Jena wenig Schlagkraft besitzt und das antifaschistische Image der Stadt an diesem Tag nur durch die, von der Verwaltung angesagte, „kooperative“ Polizei aufrechterhalten werden konnte.

An dieser Stelle lässt sich nun auch ein Bogen zum jüngsten Naziaufmarsch des 03.10.2015 schlagen. Die Zahlen von Nazis, Gegendemonstrant*innen und Polizist*innen sind hier, im Verhältnis, nicht wesentlich unterschiedlich. Dennoch ergab sich an diesem Tag ein gänzlich anderes Bild dieser, angeblich, so antifaschistischen Stadt. Die etwa 2500[2] Gegendemonstrant*innen konnten der, äußerst aggressiven, Polizei nichts entgegensetzen – oder war dies schlicht nicht gewollt? Dieses mal half auch der Aufruf zum zivilen Ungehorsam des Stadtrates nichts. Keine strategisch wichtige Blockade blieb an diesem Tag bestehen bzw. konnte überhaupt erst entstehen. Schlussendlich konnten die Nazis unter massivem Polizeischutz durch die Stadt marschieren. Dies wird vom Bündnis „Läuft nicht“ zurecht kritisiert.[3]

Wir müssen mit Bedauern feststellen, dass es in Jena kaum möglich ist über 2500 bzw. 1800 Menschen gegen die Nazis auf die Straße zu bekommen. Das bereits angesprochene, auch überregional bekannte, „antifaschistische Image“ der Stadt Jena hat hieran einen beträchtlichen Anteil. Von vielen wird eine Anreise aus dem Umland schlicht für unnötig gehalten, da in Jena ja eh nichts passieren könne, haben doch im Jahr 2007 noch die Barrikaden gebrannt. Der Mangel antifaschistischen Engagements ist mit Betrachtung der NSU Vergangenheit der Stadt Jena eine bedenkliche Entwicklung. Des Weiteren gibt es in Jena wenige funktionierende antifaschistischen Gruppen, kaum Vernetzung und eine meist sehr zentralisierte Organisation von Gegenprotesten.

Blockaden: Kann das was oder kann das weg?

Was 2010 in Dresden, völlig zurecht und zum Glück, den größten Naziaufmarsch Europas verhinderte, breitete sich fortan als Patentrezept zu Verhinderung aller Möglichen Aufmärsche, ob groß oder klein, in der ganzen BRD aus. Das Blockadekonzept ist mittlerweile in den breiten der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft angekommen. So rufen, wie in Jena geschehen, ganze Stadträte zum zivilen Ungehorsam gegen Nazis auf[4]. Spätestens hier muss die Frage gestellt werden ob die Blockade noch ein solidarisches Konzept der radikalen (politischen) Linken ist oder ob es längst zu einem Konzept zur Imagepflege diverser Städte und Dörfer verkommen ist. Es zwingt sich die Annahme auf, das antifaschistische Gruppierungen hier „ausgenutzt“ werden, wenn man es gerade gebrauchen kann. Werden andere Aktionsformen als die Blockade gewählt, ist jedoch schnell Schluss mit der Solidarität der Verwaltungsbehörden. Gerade in Jena, dessen Bürgermeister jüngst mit antisemitischen Ausfällen Israel für die „Flüchtlingskrise“ mitverantwortlich machte[5], müssen wir feststellen, dass der antifaschistische Konsens meist nur ein Lippenbekenntnis einiger tragender Behörden ist. Damit können und wollen wir uns, als antifaschistische Gruppierung, nicht gemein machen. Weiterhin warnen wir davor, „DAS Blockadekonzept“ blind und stumpf auf alle Situationen zu kopieren. Einerseits hat es nun einmal nicht in jeder Situation einen strategisch Mehrwert und andererseits kann es Situationen geben, in denen es die Demontrant*innen in eine kritische Gefahrenlage drängt. Sogar das gleichzeitige Auftreten beider Aspekte mussten wir schon beobachten.

Eine frische Loslösung von alten verstaubten Konzepten und Strukturen und eine intensivere linke Vernetzung auf Augenhöhe ist das, was wir uns für uns und für Jena wünschen. Aus Ermangelung an konkreten Alternativen werden wir, wie auch in der Vergangenheit, an Protesten gegen den Nazi-Mob teilnehmen und unsere Perspektive einbringen, fordern aber gleichzeitig eine kritische Auseinandersetzung mit den bisherigen Konzepten und deren Ausführung.

Gegen Nazis und Faschisten auf die Straße zu gehen, uns und andere zu schützen, Aufklärung zu leisten und eine radikale Kritik zu üben ist keine Imagesache, sondern eine Notwendigkeit!

[1]http://www.aktionsnetzwerk.de/cms/index.php/aktuelles/pressemitteilungen/680-im-paradies-scheint-die-sonne-nicht-fuer-nazis

[2]http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Demonstrationen-in-Jena-am-Tag-der-Deutschen-Einheit-etwa-200-Rechte-2500-Gegn-1240802036

[3]http://jg-stadtmitte.de/nonazis/

[4]http://www.jenapolis.de/2015/06/26/aufruf-des-jenaer-stadtrates-nicht-zu-hause-sitzen-bleiben-jena-steht-zusammen/

[5]Kommentar: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/23404